Ich sitze in einer Kirche voller alter Menschen. Diesmal sind es mehr als sonst. Vorallem sind es viele Männer so zwischen 70 und 90. In Uniform. Ein Verein feiert sein Bestehen. 100 Jahre. Da ist viel passiert in diesen hundert Jahren. Viel Bedenkenswertes. Man beschenkt sich mit einem Dankgottesdienst für alle Verdienste dieser Zeit und ist etwas melancholisch, auch wie es wohl weitergehen mag. Eine Blaskapelle spielt auf. Alles wirkt etwas müde. Die aktiven Zeiten des Vereins sind längt vorbei. Nachwuchs ist nicht in Sicht. Das wissen alle. Am Ende des Gottesdienstes gehe ich nach vorne zum Altar, wo allerlei Memorabilien aus den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut sind. Die Vereinsgruppe ist längst wieder draußen. Es gibt viel zu entdecken. Auch eine Urkunde aus 1940. "Das war während des Nationalsozialismus", sage ich laut. Eine Frau aus dem Ort, die neben mir steht und die Kerzen ausbläst, schaut mich überrascht an. Sie hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Eine Person of Color. Fragen entstehen. Sie werden immer mehr in meinem Kopf. Fast wie bei einer Kunstinstallation. Nur ist diese gänzlich unbeabsichtigt. Am Ende des Tages denke ich "Kontinuitäten". Ich denke "NSU-Komplex". Ich denke "Erneuerung der Gesellschaft". Ich denke "Abwehrreflex". Ich denke "Abschiebegefängnis". Ich denke, dass ich zu wenig gefragt habe und jetzt alle schon tot sind oder sich nicht mehr erinnern. (Un-) Seeliges Vergessen.