Der Welt geht es nicht gut - überall Krieg, Terror, Chaos, Radikalisierung - und ich trauere um unseren Obst- und Gemüseladen.
Seit einer Woche ist er geschlossen. Die Rolläden gingen nur noch einmal hoch, am Samstag, zu einer fulminanten Abschiedsparty.
Jetzt ist Schluss und mein Alltagsgefüge ist empfindlich gestört. Heute ist Montag und Montag fühlte sich immer schon etwas taub an - der Laden hatte Ruhetag. Und auch wenn ich nicht immer gleich am Dienstagmorgen hingestürmt bin, so war es doch eine Konstante in meinem Leben, die dienstags zurückkehrte; die Möglichkeit, dort ein kurzes Schwätzchen zu führen. Das Leben nach dem Wochenende begann frühestens dienstags, mit Bananen und Endivien von Schramms.
Schramms haben in den letzten 11 Jahren, seit wir aus Kalifornien ins Bötzowviertel zogen, meine Kinder aufwachsen sehen, wussten, ob wir gesund oder krank waren, wer in der Familie gestorben ist. Oft haben wir aber auch nur gescherzt, über das Wetter gesprochen, dann und wann auch mal über die weltpolitische Lage, oder gefrozzelt, über Ost und West oder sowas. Als Kunden haben wir teilgenommen am wechselvollen und schweren Geschäft des Einzelhandels.
Am Anfang wirkte mir alles schrullig und altmodisch und es waren mir sowenige Waren, wo wir vorher immer im riesigen WHOLE FOODS MARKET alle erdenklichen Produkte in herrlich gestalteten Packungen einkauften und help out to the car bekamen. Das kann man jetzt hier auch überall haben - well, not the help out to the car, though und Tüten muss man auch immer noch selbst bepacken an der Kasse, und das ganz schnell, wenn der nächste Kunde drängelt - und schlecht gelaunt sind die Verkäufer meist auch (das war in Kalifornien undenkbar und eine absolute Wohltat).
Bei den Schramms war alles entschleunigt. Immer Zeit für ein Schwätzchen. Wir wurden mit Namen angesprochen, es war irre persönlich und Frau Schramm hielt am Ende gern die Tür für uns auf, wenn rechts und links alles voll bepackt mit Taschen war.
Die schreigrünen Preisaufkleber, die auf jedem Produkt prangten, nervten anfangs zu Hause, weil sie so laut ins Auge stachen. Schramms waren quasi auch auf dem Eßtisch präsent. So persönlich wollten wir es dann doch nicht.
Und jetzt, nach sovielen Jahren ist mir das Herz schwer, ich fotografiere die letzten Essigflaschen mit den grünen Bappern drauf.
Mann bin ich melancholisch, traurig, sentimental und fühle mich heimatlos - sch... Abschiednehmerei, es gibt zuviel davon in meinem Leben - und denke gleichzeitig, es sind immer noch Luxusprobleme.
Was sollen denn da die Flüchtlinge sagen, die mehr als einen Gemüseladen verloren haben?!
Ich weiß, ich weiß und weiß mir nicht zu helfen.